Von Ruth Voglgsang
Der Traum geht weiter
Der Traum Ludwig II ist noch nicht zu Ende geträumt, denn „…wer träumen kann, wirft einen kurzen Blick ins Paradies“. Und diesem begegnen wir immer wieder in neuen Geschichten, wie zum Beispiel in dem Buch „Ein verlorener Traum“ von Angerer der Ältere. Neben Elfen und Gralsrittern kommt in dieser Traumgeschichte auch der Märchenkönig erneut zu Wort: „Träume beherrschen mich. Sie kommen und gehen, wie immer sie wollen, denn sie sind frei. Und es kommen immer neue dazu. Träume sind immer da, man muss nur lernen, sie zu erkennen.“
Als eine wichtige Aufgabe in einer gefährdeten Zeit erkannte dieser Autor „die Pflege der Phantasie“. Angerer der Ältere, von Beruf Kunstmaler, Bildhauer und Architekt, erweckt seine Märchen in wundervollen Gemälden wieder, die für sich selbst gesehen bereits wieder spannende Geschichten erzählen. Phantasievolle, detaillierte Bilder im Bild, führen von einer Welt zur anderen, wie auf der Wanderung durch die Schlösser König Ludwig II.
Ruth Voglgsang
„Ein ewig Rätsel will ich bleiben, mir und anderen …“ Die geheimnisvolle aber allumfassende Antwort auf alle seine Rätsel, wird vom Legenden umwobenen König Ludwig II, selbst gegeben. Im Verlauf seiner nur zwei Jahrzehnte andauernden Herrschaft über Bayern, reiht sich der menschenscheue König Ludwig II, mit der Inszenierung seiner Träume, in die lange Reihe unzähliger Künstler, wie Shakespeare, Leonardo da Vinci und Michelangelo ein. Das Eingangstor der Phantasie und Träume führt auch ihn in die Tiefen rätselhafter Schichten des menschlichen Seins, aus denen immer wieder Neues, Revolutionierendes, über den Tod hinaus Bleibendes geboren wird. Aus einem offenen wissensdurstigen Geist entstehen zeitlose, fantastische Bauwerke, Gemälde, Musikstücke oder auch technische Erfindungen, die umhüllt von einer magischen Aura die Menschen aller Nationen noch heute bezaubern und inspirierend in ihren Bann ziehen.
Bei der Verwirklichung seiner unerschöpflichen Ideen und dem Drang zur perfekten Inszenierung seiner Illusionen bedient sich Ludwig II allen künstlerischen und technischen Möglichkeiten seiner Zeit, die er über das Normale hinaus fördert und zu neuen Errungenschaften anspornt. Niemals ist er völlig zufrieden mit dem Erreichten. In seiner intensiven Suche nach einem blaueren „Blau“ sieht man, wie ihn sein zukunftsorientierter Charakter und seine Phantasie oft über die Grenzen des bestehenden Weltbildes hinauskatapultierten. Ein Phänomen, über das es sich lohnt nachzusinnen, wenn man bedenkt, dass die Farbe „Blau“ in der Welt der Symbolik für den Westen und die Zukunft steht.
Der Glaube an das Bestehen seiner Träume und sein starker Wille lassen Ludwig II einerseits mystische, prachtvolle Fluchtburgen und Schlösser errichten aber andererseits seinen psychischen Zustand als paranoid erscheinen.
Zerbricht er an der Ironie des Schicksals oder am kalten politischen Kalkül seiner Gegner? Der seiner Zeit voraus lebende und sich der mystischen Wurzeln der Menschheit bewusste König, wird als geistig umnachtet dargestellt und entmachtet, da er unter anderem auch an die Möglichkeit des Fliegens glaubt. Fünf Jahre nach seinem Tod beginnen dann die ersten Flugversuche von Otto von Lilienthal.
Mystiker sind oft die größten Realisten, die eine permanente Gradwanderung zwischen idealer Traumvorstellung und sichtbarer Wirklichkeit absolvieren und deswegen oft verkannt werden.
Geheimnisvolles Schloss Neuschwanstein
Mit seinen Bauten bleibt der Nachwelt auch ein Merkmal seiner Kindheit erhalten. Die Freude am Schenken von seinem Reichtum an andere. Inmitten seiner konfliktreichen Gegenwart lässt der friedliebende König steinerne Zeugen einer idealen Gegenwelt entstehen. In seinen geheimnisvollen Schlössern, eine fast mystische Verdichtung von Natur und Architektur, begegnet uns eine selbstverständliche Symbiose der Farbenpracht fremder Kulturen und mannigfacher Kunststile. Das Phantasiereich von Neuschwanstein ist wie der Hauch einer sichtbaren Liebeserklärung Ludwig II an die Macht und Kraft der Träume.
„Der Punkt ist einer der schönsten, die zu finden sind, heilig und unnahbar…“ Mit diesen Worten beschrieb Ludwig II selbst den Platz zur Auferstehung der „Gralsburg“ über der Pöllatschlucht. Inspiriert vom Elternhaus in Hohenschwangau, mit Ausmalungen der deutschen Heldensagen, entsteht im Schloss Neuschwanstein die Tradition mittelalterlichen Rittertums. Wie kein anderer Bau zeugt Neuschwanstein von den Idealen und Sehnsüchten Ludwigs II. Die Politik konnte ihm nach dem verlorenen Krieg mit Österreich gegen Preußen die königliche Souveränität nehmen.
Aber in den farbenprächtigen Wandbildern des Schlosses erzählen die Sagen von Sigurd, Gudrun, Tristan und Isolde, Parzival und Lohengrin ewige Geschichten der Liebe, Ritterlichkeit, Schuld, Buße und Erlösung. Und hier ist sein wahres Königtum verwurzelt, denn in Lohengrin und Parzival sieht er nicht nur Vorbilder, sondern findet seine Seelenverwandten.
In einer Umgebung in der man die Werte nicht nur sehen, sondern auch fühlen kann, lebt das Phänomen des Traumkönigs bis heute weiter. Seine Beliebtheit mag wohl auch gerade auf der erhabenen Darstellung fundamentaler Themen des menschlichen Lebens zurückzuführen sein.
Wie angewachsen thront die Felsenburg Neuschwanstein auf ihrem Platz und gibt durch ihre Fenster faszinierende Ausblicke auf das weite Land, auf Seen oder steile Gebirgsfelswände frei. Wie gerahmte Landschaftsgemälde vermitteln sie das Gespür, dass in den Formationen der Erde ehemalige Geschehen der Menschheitsgeschichte zum Ausdruck kommen.
Es heißt in alten Geschichten, dass Berge und Gebirgsmassive nicht nur durch die gewaltige Urkraft der Natur geformt wurden, sondern auch durch die gewaltigen Ereignisse des Menschseins. Deshalb werden wohl auch Berge als Wohnstätte von Gottheiten aufgefasst und Ebenen entsprechen einer Zeitverflachung.
König Ludwig II liebt die Natur, und in seinem Bestreben, die Bauwerke harmonisch in die Schönheit der Umgebung einzufügen, gelingt ihm mit traumwandlerischer Sicherheit ein beispielhaftes Meisterwerk.
Bewusst oder unbewusst spiegelt sich in seinem Leben tiefes vorzeitliches Wissen.
Aber niemand kann ergründen wissen, ob es Ludwig II bewusst ist, dass man in alten Überlieferungen die Nacht als ein Symbol des diesseitigen Lebens betrachtet, als er ab 1875 nur noch nachts lebt und am Tage schläft. Dem Wappentier von Hohen Schwangau, dem Schwan, dem Symbol des einsamen Todes, der durch seine Grazie und Anmut besticht, bleibt Ludwig zeitlebens tief verbunden, genauso wie dem Pfau. Der Schwan als Krafttier, der als hässliches Entlein geboren wird und sich mit den Jahren zu einem wunderschönen, hoheitsvollen Vogel entwickelt, will unter anderem sagen: „Vertraue auf den Schöpfer, der durch seine Macht alles zum Guten wendet.“ Der Schwan bringt Heilung in jeglicher Beziehung. Eine himmlische Unterstützung, die Ludwig II in seinem Leben bitter nötig hat.
König der Nacht und Meister des Lichts
„Plötzlich ward ich herausgerissen und auf den Thron gesetzt“, so beschreibt Ludwig II selbst seine Thronbesteigung im Jahr 1864 und im Laufe seiner Regierungszeit zieht er sich enttäuscht, wie von einem üblen Streich, mehr und mehr in die Stille und Einsamkeit zurück. Ein menschenscheuer aber nicht weltfremder Herrscher, denn bereits drei Jahre vor der Pariser Elektrizitätsausstellung im Jahr 1881 verfügt Ludwig II im Schloss Linderhof über das erste Elektrizitätswerk sowie über eine Regenbogenmaschine zur Beleuchtung der Grotte. Und sein Schlitten ist wohl das erste Fahrzeug mit elektrischem Licht. Ergebnisse seiner Inspiration durch das zauberhafte Wechselspiel der Farben von Himmel und Erde in seiner geliebten Bergumgebung. Es verwundert nicht, dass das für damalige Zeiten noch ziemlich unbekannte Phänomen des elektrischen Lichtes dazu beiträgt, den König bereits zu Lebzeiten als Märchenkönig zu betiteln. Ein König der Nacht und Meister des Lichts.
Wie ein Traumbuch ist das vielfältige Leben Ludwig II, das es aufzuschlagen gilt, denn Linderhof, Herrenchiemsee und das Jagdhaus Schachen bringen uns weitere Facetten seines Lebens nahe, in denen sich der Betrachter erstaunt wiederfinden kann.