„Die heutige Kunst ist häßlich und langweilig“, Interview mit Baal Müller,
Junge Freiheit über die Moderne Kunst
Herr Angerer, Sie stellen in Ihrem Buch „Kulturpause“ die Existenz einer zeitgenössischen Kultur grundsätzlich in Frage. Worin besteht für Sie Kultur?
Angerer: Soweit wir Menschen zurückschauen können, hatten alle Kulturen ihren Ursprung in Mythen und Religionen. Das Göttliche, wie auch immer, war Mittelpunkt ihrer Existenz. Die Moderne hingegen, ich rede hier von der Kunsterscheinung der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts, glaubte, ohne Gott und traditionelle Kontinuität sich auf das Nichts gründen zu können. Gott, Natur und Mensch wurden aus dieser Kunst vertrieben. Und doch hatte diese Hybris interessante Ansätze und zu diesem Zeitpunkt durchaus ihre Berechtigung. Sie schaffte Distanz zu entkräfteten, nur noch handwerklichen Traditionellen. Meine Kritik an der sogenannten Moderne setzt in der Nachkriegszeit an. Hier wurde eine Leiche wiedererweckt und mit Hitler als unfreiwilligem posthumen Steigelbügelhalter auf den Thron höchster Kulturweihe gesetzt. Nun Geister sie unsterblich als ewig-modernes Wiedergängertum durch unsere entgöttliche Zeit. Wie sagte Novalis: Dort wo keine Götter walten, hausen Gespenster.
Sollte der Künstler als eine Art Religionsstifter wirken?
Angerer: Das ist zuviel verlangt und auch nicht seine Aufgabe. Er sollte aber in unserer prosaischen Zeit, die übrigens Hölderlin als „die Zeit der Dürre“ ankündigte und empfahl, „sie besser zu verschlafen“, also in dieser Zeit des Mangels und der Rückbildung nicht aufhören, auf den Mittelpunkt hinzuschauen und darauf hinzuweisen, damit Stock und Wurzel am Leben erhalten bleibe und später angeschlossen werden könne. Denn das Neue kommt. Das Kommende sehen wir zwar noch nicht in scharfen Konturen, doch es ist ahnbar. Noch ist erstarrter Kulturwinter, doch wird ihm im kommenden Jahrhundert ein neues Frühjahr im Kreislauf der Weltordnung mit mehr Spiritualität folgen.
Sie sind also trotz Ihrer Zivilisationskritik optimistisch?
Angerer: Für die fernere Zukunft schon. In näherer Zukunft wird, um unsere Kulturpause zu überwinden, eine schmerzliche Zäsur nötig sein, „denn diese Toren bekehren sich nie, wenn ihnen nicht schwindelt“, wie Hölderlin sagt. Goethe hat dem vergangenen Jahrhundert in seinem Aufsatz „Geistes-Epochen“ das Ende der Kultur angekündigt. Nach der Spätkultur, in der er sich selbst sah, folge reine Zivilisation und Gelddiktatur. Die bezahlte Kultur des tabuisierten Scheins wird als Surrogat nicht mehr allzu lange haltbar sein, denn sie hat den Menschen gegen sich. Die Moderne wird dem Volke immer fremd bleiben, sie ist sogar „volksfeindlich“, wie Ortega y Gasset in seinem Buch „Die Vertreibung des Menschen aus der Kunst“ meint. Und der Einschnitt wird auch in anderer Hinsicht kommen, denn wir werden einsehen müssen, daß wir unsere Organismen nicht ungestraft über Generationen manipulieren können. Dann wird sich das christliche Religionsdogma als sinnvolles Naturrecht erweisen, denn Chemie, Geburtenverhinderung und der bereits sich ankündigende Designermensch werden uns strafen. Eine höhere Neuordnung wird das Titanische und die Kraft des Prometheus, die Leidenschaft des Hervorbringens von „noch nie Dagewesenen“ fraglos jeden Widerspruch einschließend, diesen Tatmenschen zur Rechenschaft ziehen. Aber selbst am Abgrund wird er sich nicht der Tat entziehen können und das Element, das er in Bewegung setzt, verschlingt ihn zuletzt. Vieles wird dabei zugrunde gehen. Kafka läßt mit seiner „Strafkolonie“ grüßen. Sein Werk wird in mehrerer Hinsicht immer mehr in den Vordergrund rücken.
Der Künstler wäre also der Sachwalter des Ewigen?
Angerer: Des Zeitlosen. Der moderne Künstler, der sich opportun das Korsett des Zeitgeistes umschnüren läßt, wird zwar, wenn er die richtige Lobby hinter sich hat, mit Lorbeer umkränzt, doch wird dieses Kraut bald abgestanden sein. Vielmehr geht es darum, das Ewige in uns anzusprechen. Das Unterbewußtsein, das eigentliche Ich unserer dualistischen Konstruktion, ist keiner Mode unterworfen. Seh- und Höreigenschaften folgen tieferen Ordnungen als der Tagesdoktrin. So ist der Künstler als Schatzgräber des Verschütteten aller Herzen zu sehen. Er zeigt uns bildhaft als Seismograph auf, was in uns allen steckt. So gehören die wahren Kunstwerke der ganzen Menschheit an. Der moderne Künstler, der nur egoistisch seinem persönlichen Fimmel huldigt, bringt keine Saite zum Schwingen und bleibt unverstanden.
Ist das nicht ein etwas elitärer Anspruch?
Angerer: Nein und ja. Nein, weil der Begabte seiner von Gott gegebenen Anlage verpflichtet ist und er sich nur als Werkzeug des Schöpfers sehen kann. Ja, denn ohne Elite droht Mittelmäßigkeit. Und noch viel schlimmer: heutige Kulturförderung dient im wesentlichen der Unterstützung der Negativauslese. Spätere Generationen werden darüber lachen und so manch leuchtender Stern am heutigen Kulturhimmel wird für immer sinken. Deshalb empfehle ich große Archive für neugebaute Museen der Moderne.
Könnte sich die Politik stärker für die Kunst engagieren?
Angerer: Nein, von der Politik erwarte ich nichts, höchstens Gefahren. Geld und ausschließlich Geld als Machtmittel bestimmt im wesentlichen unsere politische Landschaft. Wer allen Ernstes wissen will, wer in einem Land die tatsächliche Macht besitzt, der frage nach dem oder die Tabuisierten. Das war schon immer so, bei Kaiser, Königen und Fürsten, bei der inquisitorischen Kirche des Mittelalters, bei Hitler oder Stalin. Insofern ist der Politiker zunehmend Spielball der exzentrischen Macht des Geldes. Doch Systeme, deren Schwerpunkt nicht in der Mitte liegen, bersten bei Belastung. Für die meistens Politiker und Vertreter sonstiger Machtinstitutionen ist Kultur, insbesondere in Deutschland, nur Alibifunktion. Sie wissen in ihrer Banalität nicht, vor welchem „Bild der Modernen“ sie abgebildet werden oder ihre Interviews geben. Vertreter anderer Länder zeigen mehr Traditionsbewußtsein. Niemals hätte sich ein Fürst vor der nichtssagenden Bildkunst der Abstrakten, die bestenfalls Dekorationsgelüsten dienen kann, abbilden lassen, denn er identifizierte sich in seiner Gesamtheit mit seiner Umgebung. Den rein rationalen Funktionalisten von heute kommt diese langweilige Kälte moderner Kunst sehr gelegen. Sie verrät nichts über seinen Besitzer, verbreitet den Eindruck auf der Höhe der Zeit zu sein, außerdem suggeriert er damit innovative Aufgeschlossenheit. Nun, in politischen Kreisen herrscht im allgemeinen Kulturpause, das Kulturwissen der Karriere nicht dienlich ist.
Ist nicht der kritische Gestus der sogenannten modernen Kunst generell etwas angestaubt? Es gibt doch heute kaum noch Spießer, die dadurch provoziert werden können.
Angerer: Der Begriff „Moderne“ ist ein Anachronismus, denn „modern“ beinhaltet zeitlichen Verfall. Die „Moderne“ ist längst unmodern. So wird, um dieses Wort zu halten, mit Begriffen wie „Postmoderne“ und „Zweite Moderne“ geschwindelt, um die profitable Komplizenschaft von Kunstmanagern und Journalismus zu halten. Immer wieder wird der saure Kitsch der Moderne, die im wesentlichen durch das Transportmittel der Moral und gepachteten Menschlichkeit zu Erfolg gekommen ist, mit verdrehten Augen beschworen. Mir klingt der entrüstete Aufschrei immer noch in den Ohren, als ich in Gesellschaft gewagt hatte, die „Guernica“von Picasso als solch Kitsch zu bezeichnen. Dabei bleibt ein Bild dieser Machart ohne journalistische Wichtigtuerei zunächst unbeachtet. Erst durch ständige Wiederholung werden solche Machwerke systematisch ins „Magische“ gerückt, um bei Snobs, Parvenues und Schwachen so etwas wie „pathologische Rührung“ hervorzurufen. Dies geschieht mit Getöse und wichtiger Gestikulation, genau darauf achtend, daß die verräterischen Handgriffe des alten Leierkastens von dem Einzuschüchternden nicht bemerkt werden. Der süße Kitsch des rechten Spießers ist hier liebenswürdiger, denn wenn auch mit falsch geleiteten Gefühlen werden doch wahrhaftige Sehnsüchte angesprochen. Der moderne saure Kitsch wird hingegen vom linken Spießer bevorzugt, um sich naserümpfend vom rechten Spießer distanzieren zu können.
Inwiefern steht Schönheit auf dem Index?
Angerer: Eine heikle und nicht ungefährliche Frage in einer Zeit, in der die Häßlichkeit Konjunktur hat. Insbesondere Adorno hat die Schönheit in Verruf gebracht, wie auch andere wesentliche Elemente der Kunst. Schönheit in die Nähe des Faschismus oder gar Nationalsozialismus zu bringen, ist absurd, denn wirkliche apollinische Schönheit, wie ich sie verstehe, genügt sich in sich selbst und kann nicht politisiert werden. Sie ist das Gegenteil jeder praktischen Nutzbarkeit. Es ist anzunehmen, Michelangelos Muskelmenschen würden heute eines faschistischen Menschenbildes verdächtigt. Es ist eine moderne Krankheit, alles an Hitler auszurichten. Übrigens stammt ja auch der Begriff „Entartete Kunst“ nicht von den Nazis …
… sondern von Max Nordau.
Angerer: Richtig, der jüdische Schriftsteller und Arzt Max Nordau hat das Thema der Entartung lange zuvor geprägt. In seinen philosophischen Aussagen über die Auflösung der Bildgestalt hat er die kranken Wesenszüge jener Menschen beschrieben, die den Drang zum bildnerischen Absonderlichen verspüren. Wie bei den Nazis, so wird auch heute verschwiegen, daß er das Thema der Entartung in die kunsttheoretische Debatte eingeführt hat. Um keinen Irrtum entstehen zu lassen, künstlerische Leistungen werden immer Hochsensible, Gefährdete, deren Nerven höher liegen, hervorbringen. Großes wird außerhalb der bürgerlichen und etablierten Gesellschaft geleistet. Wobei erwähnt werden muß, daß der heutige berufs-revolutionäre moderne Künstler Teil der staatlichen Kunstförderung ist und als Etablierter einzustufen ist, während der Künstler der Schönheit und der Komponist der Harmonie auf dem Index stehen. Die Förderung der künstlerischen Negativauslese treibt den wahren Künstler oft genug ins existenzielle Nichts. Dies sollten verantwortungsvolle Kulturpolitiker einmal überdenken. Sie dürften die Zensur des Verschweigens nicht zulassen und müßten für Ausgewogenheit der Meinungsfreiheit sorgen.
Ist Schönheit ihre zentrale Kategorie?
Angerer: Ja. Schönheit ist niemals nur Dekoration, sondern auch Wahrheit. Sie kommt aus der Seele der Natur und ist eine Schöpfung Gottes.
Die Natur erscheint in Ihren Bildern oft auch sehr negativ und katastrophal …
Angerer: Sie enthält Positives und Negatives. Die Schönheit schließt somit auch das Häßliche mit ein. Gustav René Hocke hat von der Schönheit im Grauen gesprochen, die den meisten kaum noch verständlich ist. Die heutige Kunst hingegen ist größtenteils nur häßlich und langweilig.
Sie betonen in Ihrem Buch, da wirkliche Kunst nicht nur für eine Elite, sondern für das ganze Volk da sein müsse.
Angerer: Früher war die Kunst zwar elitär und wurde an Fürstenhöfen gepflegt, aber das Volk hat den höfischen Geschmack übernommen. Heute, in der Demokratie, ist der Künstler merkwürdigerweise viel elitärer, seine Kunst ist unverständlich und wird daher vom Volk abgelehnt. Die Künstler sind häufig volksfeindliche Snobs. Es gibt, wie gesagt, eine Art Komplizenschaft zwischen Presse und Kunstmanagern, alles dient dem Kommerz, und was in New York geschmacklich vorgegeben wird, wird in Deutschland eingehalten.
Kann man dem entgegenwirken?
Angerer: Das ist wie eine Krankheit, die muß sich ausleben. Letztlich kommt alles von selbst, indem andere Generationen nachwachsen. Tragisch ist es dennoch, in einen solchen Kulturwinter hineingeboren zu sein und letztlich nur eine Solitärleistung erbringen zu können.
Was ist ihr nächstes großes Projekt?
Angerer: Auf meinem Bauernhof entsteht gerade meine Kapelle. Architektur, Bildhauerei und Malerei als Gesamtkunstwerk. Eine schräg nach oben kosmisch ausgerichtete Lichtröhre, inmitten der Heiland am Kreuz als Lebensbaum, umflutet von den farbigen Lichtreflexen der Farbglaskuppel, strömen etwa eineinhalb Dutzend nach Erlösung sich sehnende, nicht ganz lebensgroße nackte Menschen zum Licht. Ich arbeite etwa seit drei Jahren daran, und es werden sicher bis zur endgültigen Fertigstellung noch zwei weitere Jahre ins Land ziehen. Es müssen noch zehn Figuren gegossen werden, und auch malerisch ist noch viel zu tun. Meine Arbeit für Gottes Lohn und christliche Sponsoren aus der Umgebung machen es möglich, dieses Kunstwerk, zu dem jetzt bereits schon gepilgert wird, zu erstellen. Ein Kunstwerk für Gott und alle Menschen, die der trostlosen Langeweile der Moderne entfliehen wollen.
Angerer der Ältere, 1938 in Bad Reichenhall geboren, war von 1967 bis 1975 Entwurfsarchitekt bei A. v. Branca. Seit 1975 arbeitet er als freier Architekt, Maler und Bildhauer. Für den Film „Die unendliche Geschichte II“ nach dem Roman von Michael Ende war er als Produktionsdesigner tätig und wurde dafür mit dem Bayerischen Filmpreis ausgezeichnet. Mit dem Thema Deutsche Trennung und Einheit setzte er sich von 1978 bis 1990 in einem Bilderzyklus und einem Videofilm auseinander; daneben arbeitete er an weiteren Filmprojekten u.a. nach Werken von Michael Ende, Ottfried Preußler und J.R.R.Tolkien. 1994 veröffentlichte er „Kulturpause. Streitschrift wider den Zeitgeist“ im Nymphenburger Verlag, und 1996 war u.a. zusammen mit Ernst Fuchs Gründungsmitglied des Zentrums für Phantastische Künste. Über Angerer d. Älteren erschienen die Kunstbände „Phantastik der Sehnsucht“ (Gustav René Hocke) und „Kampf und Vision“ (Manfred van Well).
© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. www.jungefreiheit.de 12/00 17. März 2000